"Chez Stamatakos" by James Prineas Stories from "A Village on Kythera"


Bei Stamatakos  
 
 
 

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Das Cafe-Restaurant von Georgios und Maria Stamatakos in Mitata ist eine der Hauptattraktionen der Insel. Der Charme von Georgios beim Bedienen und dazu Marias unwiderstehliches Lachen - von ihren Kochkünsten ganz zu schweigen - locken Gäste aus allen Ecken und Enden Kitheras heran. Es gibt drei Tavernen im Dorf, ihre ist die links von den beiden anderen, wenn man auf dem Dorfplatz steht. Dies erscheint nur zu passend, denn die Besitzer der Taverne gelten als überzeugte Sozialisten. Zumindest heißt es so, und in der Tat findet sich der erste Band von Marx' "Das Kapital" in der bescheidenen Bibliothek, die Georgios sein eigen nennt. Trotzdem ist eher davon auszugehen, daß er das Buch nie gelesen hat, denn bei ihm steht der berühmte blaue Band in der Originalsprache im Regal. Insofern ist es nur logisch, daß dies das einzige Buch der Sammlung ist, das auf dem Kopf steht.

Im Jahre 1989 führten Georgios und Maria eine radikale Neuerung in ihrer Taverne ein. Da beide bereits spürbar in die Jahre gekommen waren, begriffen sie, daß es nicht länger Sinn hatte, so zu tun, als würde man eine vollständige Speisenfolge nach Wahl anbieten. Statt dessen verlegten sich die beiden auf eine narrensichere Methode, die Gäste zufriedenzustellen. Kaum haben diese, seien es nun zwei oder zwanzig Personen, Platz genommen, sparen sich die Wirtsleute viel Zeit und ärger, indem sie schnurstracks in der Küche verschwinden und genügend Teller füllen, daß auch die doppelte Zahl an Köpfen mühelos satt zu bekommen wäre. Bevor den Gästen noch das System klar wird, eilt Maria bereits geschäftig hin und her und schleppt Teller heran, auf denen Omelett mit Kartoffeln serviert wird, dazu zartes Kaninchen in Kleesauce, geschmortes Zicklein und gedünstetes Gemüse; Georgios zaubert derweil aus Tomaten, Gurken und Feta üppige Salate - und alle Zutaten entstammten dem eigenen Garten, läßt er stolz verlauten. Was kein Mensch zu bezweifeln wagte, auch wenn die zahllosen Blumentöpfe auf der niedrigen Mauer, die die Taverne vom Garten trennen, verdächtig an Blecheimer erinnern, in denen sich laut Aufschrift holländischer Schafskäse befand.

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Da nun das Speisenangebot in Hülle und Fülle auf dem Tisch steht, werden sich die Gäste zunächst darüber einig, was sie vermutlich bestellt hätten, wenn man ihnen die Wahl gelassen hätte - und dann machen sie sich munter an ein Festmahl. Sollten einmal Gäste kommen, die keine Kenntnis von der Spezialität des Hauses haben und daher ganz unbedarft den Versuch unternehmen, ihre eigene Speisenfolge zu bestellen, so würde Georgios sie geduldig ausreden lassen und dann prompt und charmant das servieren, was man ohnehin gebracht hätte - getreu dem Motto "aufgetischt ist aufgetischt", wie es im "Kommunistischen Manifest" nachzulesen ist.

Der ganze Stolz von Georgios Stamatakos freilich ist seine uralte Musikbox aus Amerika. Unter einem gelben Wachstuch verhüllt, lauert der mysteriöse Kasten vor der Taverne und wartet geduldig ab, um die Arglosen zu übertölpeln. Just in dem Augenblick, wenn man denkt, man habe einen friedlichen Abend zugebracht, marschiert Georgios zu dem feisten Kasten, der, nachdem die Schutzhülle entfernt wurde, wie ein senkrecht stehender gekochter Lutscher aussieht. Georgios drückt energisch fünf oder sechs Knöpfe und dreht dann für maximalen Genuß auf volle Lautstärke. Die "Tzuk Mpoks", wie Georgios in zärtlich gegurrten griechischen Lauten den Kasten nennt, war einst dafür gedacht, bei großen Festivitäten aufzuspielen, und enthält ein wohlsortiertes Repertoire der fünfzig größten Hits griechischer Musik aus dem Jahre 1966. Von diesen Leckerbissen sind allerdings nur die fünf Lieblingslieder des Besitzers zu hören, da niemand sonst die Maschine bedient, und Georgios hat seine Vorlieben nicht geändert, solange man sich erinnern kann. Während die Musikbox donnert und dröhnt, steht Georgios Stamatakos aufrecht und reglos neben ihr, ganz wie ein Wachsoldat vor seinem Schilderhaus, und lächelt wissend seinen Gästen zu, denen, wenn nicht das Sehen, so doch zumindest das Hören vergangen ist. "Good? Good?", brüllt er in die verzerrten Gesichter.
"Good!", brüllen sie zurück.


Umschlag | Vorwort | Tarzans Stiefel | Esels Leben | Koulas Kueche
Bei Stamatakos | Yanni Skavos | Foto Galerie




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