Yanni Sklavos
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Da es auf der Insel so gut wie keine jungen Leute mehr gibt, konnte ich mir, wenn ich wieder einmal finanziell in Bedrängnis war, nach Belieben aussuchen, welchen der schlecht bezahlten Jobs ich annehmen wollte. So tünchte ich regelmäßig die Hälfte der Häuser des Dorfes Mitata, bohrte ich einen sengend heißen Sommer lang die tiefsten Löcher, die je in dem Steinbruch in der Nähe von Livathi gebohrt wurden, belud und entlud ich staubige Lieferwagen für diverse Kaufleute in Potamos, dem Geschäftszentrum der Insel, färbte ich mir jeden September die Zehennägel rot, als ich für ein Dutzend Familien die Trauben stampfte - und einen Sommer lang war ich der hochgeschätzte Lehrling bei Yannis Sklavos, dem beliebtesten Installateur der Insel. Im blauen Lieferwagen von Yannis entdeckte ich Dörfer, die aus wenig mehr bestanden als einer einzigen Sickergrube und den Felsmassen, die man zur Seite geschaufelt hatte, um Platz für die Grube zu schaffen; machte ich die Bekanntschaft findiger Inselbewohner, die das Erdgeschoß ihres Hauses unter etlichen LKW-Ladungen Sand verschwinden ließen, um arglose Baubehörden davon zu überzeugen, daß sie sich strikt an ihre Baugenehmigung für ein einstöckiges Gebäude gehalten hatten; half ich Yannis, Wasserleitungen zu verlegen, die weder über einen Zufluß noch sonst irgendeinen klaren Zweck verfügten, sorgte ich für freien Abfluß in Leitungsrohren, die von kleinen Nagetieren oder den Chitinpanzern mächtiger Insekten verstopft waren, fischte ich einmal sogar ein künstliches Gebiß aus der Pumpe einer Zisterne, das sich wer weiß wie bis dorthin durchgekämpft hatte. Yannis war eine ungewöhnliche Erscheinung in einem Land, in dem das Machogehabe der Männer sprichwörtlich ist. Er war allzeit zuverlässig, schuftete wie kein zweiter, trat durch und durch ehrlich auf und legte kein bißchen von dem großspurigen Auftrumpfen an den Tag, mit dem die Griechen gerne jede Unsicherheit kaschieren - kurzum, als Geschäftsmann konnte er keinem seiner Geschlechtsgenossen auf der Insel das Wasser reichen, vor allem dann nicht, wenn es um Liebesgeschäfte ging. Um das Handicap ein bißchen auszuwetzen, baute er sich eines der schönsten und komfortabelsten Häuser auf der ganzen Insel, und hoffte ansonsten darauf, daß irgendwann die Liebe dort an die Tür anklopfen würde. |
Die wenigen unverheirateten Frauen, die es heute auf Kithera gibt, stammen entweder aus Ehen sehr naher Blutsverwandter oder sind Touristinnen. Alle übrigen jungen Mädchen, die auf Kithera geboren wurden und dort zur Schule gingen, zeigen verständlicherweise nur sehr wenig Neigung, ihren abgehetzten Müttern nachzueifern und sich mit einem Leben im Dorf zu bescheiden, wenn die Aussicht auf eine bessere Berufsausbildung auf dem Festland lockt oder aber ein Mann aus der Stadt eine bessere Alternative bietet. Denn jene friedliche und heitere Idylle, die der Besucher in den Dörfern der Insel so vorbehaltlos genießt, ist genau der Quell all der Leiden (von den eigenen Eltern einmal abgesehen), an denen die Dorfjugend zu knabbern hat. Daß ich Lust haben sollte, Jahr für Jahr ein paar Monate auf Kithera zu verbringen, wenn ich statt dessen jeden Abend in Berlin irgendwo in die Disco gehen könnte, verblüfft die jungen Mädchen und Burschen, die in den Dörfern der Insel leben. Sobald sie alt genug sind, um zu einer Tante in Piräus zu ziehen und dort ihren Schulabschluß zu machen, sind sie auf und davon schneller, als es nach zwölf Uhr Mittag wird. Eine Frau zu finden, die Lust hätte, das Leben auf Kithera mit ihm zu teilen, erwies sich für einen zurückhaltenden, aber ansonsten durchaus heiratsfähigen Mann wie Yannis, der schon Mitte dreißig war, als ebenso schwierig wie das Unterfangen, an einem griechischen Sommertag eine Pfütze Regenwasser auftun zu wollen. Alljährlich pflegte mich Yannis kurz nach meiner Ankunft zu Ouzo und Meze auf seine mit Schiefer gepflasterte Veranda einzuladen, um taktvoll auszuloten, ob eine der jungen Frauen, die mich im Verlauf meines Sommeraufenthalts besuchen würden, womöglich unverheiratet sei. Ich versäumte auch nicht, sie Yannis alle vorzustellen, doch leider ohne romantische Folgen. |
Und dann kam ich einmal im Frühjahr nach Kithera und fuhr an Yannis' Haus vorbei und sah dort Kleider und BHs auf der Wäscheleine hängen. Binnen Stunden erfuhr ich von seinen Eltern, daß er in Piräus eine Frau getroffen und sie noch im selben Monat geheiratet hatte. Ich hatte ihn noch nie so glücklich erlebt, und wiederum auf seiner Veranda schwärmte er bei meinem Besuch von der Liebesromanze mit seiner Frau und davon, wie sehr er sein neues Glück genieße. Als ich im Herbst wieder aus Kithera abreiste, freute sich das junge Paar bereits auf den Nachwuchs, der unterwegs war. Im Laufe der Jahre, die es dauerte, bis ich endlich dieses Buch fertigbekam, sind viele der Gesichter, die darin abgebildet sind, aus dem Leben getreten. Ich wünschte, daß Yannis nicht zu ihnen zählte. Als er urplötzlich im Jahre 1994 starb, ein noch immer junger Mann mit einem kleinen Sohn und einer bezaubernden Frau, war es eine Tragödie für die ganze Insel und besonders für alle Leute, die ihn kannten und mochten. Erst wenige Stunden waren seit der schrecklichen Nachricht vergangen, als auf dem schmalen Sträßchen mit all seinen Kurven und Schlaglöchern, das hoch in das Dorf Mitata führt, beinahe sämtliche Autos, Lastwagen und Busse der Insel im Stau steckten. Geduldig warteten Fahrer und Passagiere ab, bis sie in das Dorf gelangen und Yannis die letzte Ehre erweisen konnten. Fast alle Inselbewohner, die Yannis gekannt und respektiert hatten - und beides war letztlich gleichbedeutend -, kamen zu seiner Beerdigung. |
Umschlag
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Vorwort
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Tarzans Stiefel
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Esels Leben
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Koulas Kueche
Bei Stamatakos
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Yanni Skavos
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Foto Galerie
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